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Zuschlagen mal anders 05.06.2015 09:00


Spätestens seit der Justiz-Kontroverse "Carlos" sorgt Kampfsporttraining für Jugendliche in der Bevölkerung für Unmut. Dass es aber zur Aggressionsbewältigung nicht nur die physische sondern auch psychische Kraft benötigt, haben junge Luzerner Lehrer erkannt und den Verein "knock-in" gegründet – ein Projekt, das definitiv Zukunft schreibt.

Körperverletzungen, sexuelle Übergriffe und Mobbing: die Gewaltbereitschaft von Kindern bestimmt immer wieder das Tagesgeschehen, sei es in der Schule, Zuhause oder in der Freizeit. Und obwohl Präventionsprogramme den pädagogischen Jahresplan schmücken und sich Einrichtungen den Extremfällen annehmen, so scheint Jugendgewalt eine "never ending story". Mittlerweile wurde erkannt, dass die körperliche Energie der Kinde rund Jugendlichen in irgendeiner Form von sportlicher Aktivität – wie beispielweise einem Kampftraining – genutzt werden soll. Spätestens aber seit dem Fall "Carlos" – der jugendliche Straftäter, der aufgrund seiner umstrittenen Einzeltherapie mit Boxtraining für Aufruhr sorgte – zieht die Verbindung von Jugend und Boxen einen bitteren Nachgeschmack mit sich.

Der Name ist Programm

Unter dem Motto "Zuschlagen, aber kontrolliert" gehen Luzerner Pädagogen in ihrem Projekt "knock-in" einen Schritt weiter und trainieren Kinder und Jugendliche auf der Basis eines Dreiphasenmodells, bei dem es über das herkömmliche Boxtraining hinausgeht. So gehören nebst den Kampfübungen auch Einzel- und Gruppengespräche sowie ein Meditations-Teil zum Programmkern. Ein pädagogisches Boxtraining, welches das Selbstvertrauen, das Selbstbewusstsein und das Körperbewusstsein von Mädchen und Jungs stärken soll. So engagieren sich sieben junge Luzernerinnen und Luzerner für Jugendliche in besonderen Lebenssituationen und unterstützen sie in ihrer sozialen, emotionalen und körperlichen Entwicklung. "Als Jugendlicher ist man stets auf der Suche nach Identität, was oft der Grund für aggressionsgeladenes Ausrasten ist", wie Mitbegründer des Vereins, Tobias Düngler, erklärt, "Wir bieten den Kids eine Plattform, bei welcher diese einerseits über Kampfübungen und andererseits über Gespräche gesucht und gefunden werden kann", so Düngler weiter.

Gemeinsam mit dem angehenden Sozialpädagogen Mike Schilliger hat der Oberstufenlehrer vor über drei Jahren das Projekt gegründet. Während es damals noch als Pilotprojekt für verhaltensauffällige Jungs in einer Einrichtung fungierte, ist "knock-in" mittlerweile zu einem unabhängigen Verein für sowohl Mädchen als auch Jungs mit oder ohne schwierigem sozialen Hintergrund geworden. Heute besteht das Team aus den beiden Gründern und dem Mittelschullehrer Atilla Yilmaz, die die Jungs trainieren sowie Berufsfachschullehrerin Milena Würth, der angehenden Primarschullehrerin Besa Beqiraj und Sozialpädagogin in Ausbildung Mira Birrer, die gemeinsam das Mädchentraining leiten. Auch von Anfang an mit dabei ist Sozialpädagogin Julia Castellani, die bei beiden Trainings als beobachtende Begleitung fungiert und zwischen den Kids, den Trainern sowie den pädagogischen Institutionen vermittelt. Allesamt sind sie Kampfsportbegeisterte und allesamt nebst ihrer hundertprozentigen Berufstätigkeit ehrenamtlich für den Verein tätig. Aufgebaut sind die Trainings auf dem Tugendprojekt: so werden mit den Kids auf die verschiedenen Tugenden wie Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen, Geduld, Respekt und vielen weiteren aktiv im Training sowie in den Gesprächen hingearbeitet. "Zurzeit befassen wir uns mit der Tugend des Selbstbewusstseins. Dabei lernen die Jugendlichen während dem Kampftraining, selbstbewusst hinzustehen und Stopp zu sagen. Daraufhin soll reflektiert werden, weshalb die Situation für den Einzelnen zu viel wurde", erzählt Milena Würth, Pädagogische Leiterin des Mädchentrainings. "Bei den darauffolgenden Gesprächen soll erreicht werden, dass die 'Kampferfahrungen' in den Alltag übertragen werden; wer selbstbewusst ist, kann beispielsweise auch dem Gruppendruck, wenn es um's Rauchen geht, entgegen halten", fügt Atilla Yilmaz hinzu.

Zuschlagen, aber kontrolliert

Programm ist, dass sich die Jugendlichen für einmal ordentlich austoben können. "Das Problem unserer Gesellschaft ist doch, dass sowohl Jungs als auch Mädels ständig gebremst werden. Den Jungs wird immer vorgehalten, sie sollen nicht springen, nicht schlagen, nicht zappeln und nicht so laut sein. Und die Mädels sind eh zarte Wesen, die sich stets zu benehmen wissen sollen. Bei uns dürfen und vielmehr sollen alle an ihre körperliche Grenzen gelangen, sich auspowern und mal so richtig 'rotzen'", erzählt Atilla Yilmaz, der das nur zu gut von seinem eigenen Klassenzimmer kennt, "denn das Austesten und Auseinandersetzen mit den eigenen Grenzen ist wahnsinnig wichtig, damit sich die Kids selbst kennenlernen und sich dadurch entfalten können. Und gerade dadurch kann ein gesundes Selbstbewusstsein entstehen",

"So versuchen wir, die Kids quasi über ihren Körper abzuholen", ergänzt Tobias Düngler. "Denn jene Erfahrungen, die die Jugendlichen auf der Matte machen, sollen sie mit in den Alltag nehmen. Im Moment haben wir beispielsweise einen Jungen, der sich grad etwas schwer tut mit seiner Lehrstellensuche. In einer Kampfübung wurden die Jungs provoziert, indem ihnen der Gummischläger weggenommen wurde und sie sich diesen wieder erkämpfen mussten. Derjenige, der zurzeit so unmotiviert ist, hat richtig hart gekämpft. Im Gespräch meinten wir dann, dass wenn er mit demselben Ehrgeiz an seine Lehrstellensuche herangeht, dann klappt das garantiert!"

So haben die jungen Coaches einen Zugang zu den Jugendlichen gefunden, wie ihn nur wenige schaffen. "Sie vertrauen uns, weil sie wissen, dass wir uns für sie interessieren und ihnen zuhören", wie Milena Würth weiter erzählt. So kann das "knock-in" als Ort für Luzerner Kids aller couleur gesehen werden, an dem sie vom Alltag abschalten können – einen Ort, der ihnen Halt gibt.

Man erkennt schnell, dass ein solches Projekt unabdingbar für unsere Gesellschaft ist. "knock-in" ist nicht "nur" Kampfporttraining und auch nicht "nur" ein pädagogisches Angebot. Es ist beides – und viel mehr.

Weitere Infos zu den einzelnen Kursen, Kosten sowie finanzielle Unterstützung finden Sie hier.

Joséphine Schöb


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